Souveränität als Faktor der Paartherapie
Eine prominente amerikanische Paartherapeutin schreibt als Werbeemail für ihre Fortbildungsangebote an Kollegen:
Dear [ … ]!
It has been said that couples therapy is the most demanding form of therapy. The multiple stresses that occur in “real time” as you are working make it so easy to lose momentum, direction or control. You can often end up feeling ineffective.
Recently I surveyed therapists to learn what frustrated them most about couples therapy. I received 285 replies. Here are some of the most common responses.
- I get caught only focusing on the incident of the week
- I’m just reacting, putting out fires.
- I don’t have a clear plan or strategy.
- I spend too much time outside of sessions thinking about what I could have done differently.
- I can’t stop them from fighting in my office.
- I take too much responsibility for their problems.
Do you see yourself in any of these replies?
I sure did at one time.
Early in my career, I experienced every one of the frustrations expressed above – and more. I had to learn, innovate and find new ways to help couples stop destroying the love they had for each other. What I learned to do as an individual therapist did not serve me well seeing couples!
I’ve organized these hard-won insights and effective interventions into a clear couples therapy approach called The [… ] Model of Couples Therapy.
I’d like to lighten your load as you confront these challenges.
Please join me,
[ … ]
Ein kategorialer Irrtum?
Sie gibt vor, einen kategorialen Irrtum zu begehen. Vielleicht begeht sie ihn auch tatsächlich. Auf jeden Fall bestätigt sie die Kollegen, ihn zu begehen.
Nämlich?
Daß es eine Frage des psychologischen Wissens und des methodischen samt technischen Könnens in den Interventionen wäre, weshalb man sich als Paartherapeut so viel schwerer tut als in der Rolle des Einzeltherapeuten.
Was impliziert, die Ansätze, Schulen, Methoden zur Paartherapie, die sie ursprünglich gelernt hatte, sowie jene, die heute, 30 Jahre später, die Ausbildungskandidaten lernen, waren und sind nach wie vor oder schon wieder unzulänglich. Während ihr Modell zulänglich ist.
Man hört die Absicht, ist verstimmt.
Nun kann es allerdings wirklich so sein, daß sie glaubt, ihre theoretischen und methodischen samt technischen selber entwickelten Ansätze sind geeigneter als andere – und das sei der Grund, weshalb sie sich inzwischen so viel leichter tut als am Anfang. Anstatt die ökonomischere Nullhypothese anzunehmen, es sei eine Frage der Erfahrung und der persönlichen Entwicklung des Therapeuten über die Zeit.
Ohne auf die Inhalte ihres Ansatzes einzugehen, sind allgemeine Betrachtungen zum Thema anzustellen, die den logischen Kategorienfehler betreffen, der hier zumindest als Argument für das Angebot und die Buchung eines Fortbildungskurses verwendet wird.
Es gibt viele verschiedene Schulen der Paartherapie und alle Psychotherapeuten reden davon, daß Paartherapie so viel herausfordernder ist als Einzeltherapie, Gruppentherapie oder sogar Familientherapie.
Der stets lockende Ausweg
Gehen wir daher davon aus, es liegt am Umstand des Settings mit einem Paar als solchem, warum der Therapeut sich so schwer tut.
Die erste einleuchtende Betrachtung besteht darin, sich klarzumachen, daß der Einzelne als Klient prinzipiell keine Alternative zur Psychotherapie hat beziehungsweise zur persönlichen Veränderung, wenn er sein Leiden loswerden will. Das, insofern er den Symptomunterdrückungseffekt von Psychopharmaka oder (!) Botox(1) oder Elektrokrampfbehandlungen und anderen nicht psychologischen Methoden mehr prinzipiell nicht als Alternative akzeptiert.
Der Einzelne als, nach seiner prima facie Erfahrung und jedenfalls nach seiner Zuschreibung, am anderen Einzelnen in der Zweierbeziehung Leidender hat von vornherein die Alternative, die Quelle seines Leidens auszuschalten, eben den anderen Partner aus seinem intimen Bezugsfeld zu entfernen, indem er sich von ihm trennt oder sich scheiden läßt.
Was die Familie angeht, ist es nicht so einfach. Die Scheidung vom Ehepartner löst nicht direkt und zwangsläufig das Leiden in der Beziehung zu den Kindern oder einem der Kinder, auch nicht unbedingt das Leiden an der Beziehung zwischen dem Ehepartner und den Kindern, auch nicht das Leiden, das aus der Wahrnehmung der als negativ beurteilten Entwicklung oder des so beurteilten Verhaltens der Kinder für einen als Elternteil entsteht.
Für den Menschen als Klient in der Einzeltherapie ist es noch mehr so zu verstehen, er kann sich nicht von der Welt oder seiner Lebenswelt trennen, an der er in vielerlei Hinsicht und mit vielerlei Steinen des Anstoßes leidet, noch viel weniger von seiner Innenwelt, falls er diese als das Problem sieht. Nicht ohne radikale Maßnahmen, die er sich nur für den äußersten Fall der letzten Verzweiflung offenläßt.
Im Kontrast zum Einzelnen oder der Familie als Klient hat jeder der beiden im Paar den gangbaren Ausweg aus der Misere immer vor Augen. Wozu sollte er also sich mehr oder weniger Menschenunmögliches an Selbstüberwindung zumuten? Wozu mehr davon, als er gerecht und fair findet angesichts der – immer als zu gering beurteilten – begrenzten Anstrengungen des anderen?
In der Paarbeziehung und daher auch in der Paartherapie kann man immer Zumutbarkeitsgrenzen aufstellen, die man sich nach bestem Wissen und Gewissen zu rechtfertigen und moralisch vor allen außer dem unzumutbaren Partner auch erfogreich zu vertreten weiß. Was den Therapeuten einschließt – der hat leicht reden, er steckt nicht in meiner Haut!
Die Welt geht nicht unter wegen einer Trennung oder Scheidung, und nach der in Kauf zu nehmenden Krise ist wieder berechtigte Hoffnung auf neues Glück! Jedenfalls auf neue Freude am Leben.
Wenn Erfolg Mißerfolg ist und umgekehrt
Wenn Paartherapie nicht zur Verbesserung sondern zum Ende oder der Einsicht in die Unvermeidbarkeit des Beendens der Beziehung führt, hält sie zumindest einer der Kontrahenten für erfolgreich, nämlich derjenige, der schon davor mit der Idee gespielt oder sogar die fixe Absicht zur Beendigung gehabt hat. Jetzt hat er die Bestätigung seines Verdachts, daß anderes nicht mehr möglich ist.
So ist der Mißerfolg, vom offiziellen Therapieziel der Verbesserung der Beziehung her gesehen, für das inoffizielle Ziel von einem oder manchmal auch beiden der Partner ein Erfolg.
Was heißt das für den Therapeuten?
Wenn er das offizielle Ziel als einziges mitgekriegt oder ernstgenommen hat, war es ein Mißerfolg und er hat Gelegenheit, sich selbst dafür verantwortlich oder mitverantwortlich zu machen.
Hat er das inoffizielle Ziel gebührend wahrgenommen, sieht es anders aus für ihn.
Und das Gesagte gilt schon für das jeweils aktuelle Tun der beiden Partner im Therapiegespräch und im Therapieverlauf. Je nach Kräfteverhältnis zwischen dem offiziellen und dem inoffiziellen Ziel gehen sie so vor, daß der Erfolg für dieses oder jenes bereitet und für das andere verhindert wird.
Den Therapeuten nicht zu Wort kommen lassen, auf ihn nicht zu hören oder auf 1000 und eine andere Art ihn unwirksam zu machen, sind die Mittel, den offiziellen Erfolg zu verhindern und den inoffiziellen zu sichern.
Je entmutigter und unselbstständiger und schwächer der Therapeut wird, desto besser!
Und wenn beide sich insgeheim, was normalerweise auch heißt, vor sich selbst unbewußt, darüber einig sind, daß es zu Ende sein soll, und sie bestenfalls noch über die Modalitäten des Aussteigens uneins sind und um die Verteilung der Gewinne und Verluste dabei kämpfen, ist die Front gegen den Therapeuten undurchdringlich.
Wenn er Pech hat, geben sie ihm zuletzt auch noch die Schuld dafür, daß sie sich trennen.
Die Souveränität des Paares
Wie immer und in jedem Setting von Psychotherapie, Beratung, Coaching und Supervision kann der Therapeut nur soviel bewirken, wie ihn die Klienten lassen.
Und falls sie auf ihre Vorabsichten stark genug fixiert sind, spielt sein Engagement und seine Geschicklichkeit keine Rolle für das Ergebnis.
Eine therapeutische Binsenweisheit zwar, aber in Paartherapie leichter zu vergessen, weil meistens einer der beiden konsequent den Verbesserung anstrebenden und um keinen Preis die Trennung in Kauf nehmenden Part spielt.
Nur wenn entweder beide die Trennung mehr oder weniger eisern ausschließen oder sie – sei es für einen oder für alle beide – nur so etwas wie eine Ausgangsposition in den Verhandlungen darstellt, kann die Kunstfertigkeit des Therapeuten zum Mittel und Vorwand werden, Kompromisse zu machen und sich auf die Fortsetzung der Beziehung unter neuen Bedingungen zu einigen.
In diesen Fällen kann anders herum der Mangel an therapeutischem Geschick allerdings auch als Vorwand für das Stagnieren der Verhandlungen benutzt werden. Dann schaffen sie diese nach dieser Therapie entweder beim nächsten oder übernächsten Therapeuten oder dann alleine.
Die Souveränität des Therapeuten
Was das jetzt für die Idee bedeutet, mit anderen Theorien und Techniken sich als Therapeut souveräner zu erleben? Und dafür eine zusätzliche Fortbildung im besseren und endlich „rettenden“ Modell von Paarpsychologie und Paartherapie zu buchen?
Es geht eher um ein Meta-Modell, wie es hier skizziert worden ist.
Verhält sich der Therapeut souverän und selbstsicher im normalen alltäglichen Sinn, was unter anderem heißt, so, als glaubte er an den Wert und Nutzen seines Fachwissens und fachlichen Könnens, macht er es dem Paar leichter, seine Interventionen für ihre gegebenfalls vorhandenen Verbesserungsabsichten zu verwerten.
Umgekehrt braucht es mehr Einsatz von Kraft und Selbstdisziplin des auf das inoffizielle Trennungsziel ausgerichteten Paares, die Interventionen zu mißachten oder abzutun oder nur pro forma ernstzunehmen, wenn er den Eindruck macht, er weiß, was er tut.
Welche Konzepte aus welchen Schulen er vertritt, ist demgegenüber irrelevant. Es ist bloß ein zusätzlicher Nutzen für ihn, wenn er auf Empathie und Logik der Beziehungsphänomene möglichst unmittelbar passende zur Verfügung hat, weil es die Sache einfacher macht, wenn Theorie und Praxis offensichtlich zusammenpassen.
Ist das nicht der Fall, ist er auf die eigene Konzeptualisierung seiner Beobachtungen verwiesen, was Mühe macht, aber durchaus keine überflüssige.
Im Gegenteil, selbst erarbeitetes Verständnis ist überzeugender, sowohl für den Therapeuten selbst, als auch für die Klienten.
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1 „Botox kann vielleicht Depressionen lindern“ berichtete orf.at am 27.2.2012 über eine Studie und Pressemitteilung der Medizinischen Hochschule Hannover (http://sciencev2.orf.at/stories/1695151//index.html).
„Botox könnte das bisher einzige zugelassene Medikament gegen Persönlichkeitsstörungen werden. (…)“ zitiert ntv.de am 3.9.2016 Professor Tillmann Krüger von der Klinik für Psychiatrie, Sozialpsychiatrie und Psychotherapie ebendort (http://www.n-tv.de/wissen/Botox-mindert-negative-Emotionen-article18555891.html).