Sexuelle Untreue

Man kann tun, was man will, es trifft einen mitten ins Innerste.

Danach ist anders als davor

Die aufgeklärtesten Einstellungen helfen nichts, auch nicht Absprachen, daß man es einander zugesteht. Oder daß man nicht so tun würde, als bräche die Welt zusammen, wenn es dazu kommt. Und man darüber sprechen würde, statt ein Drama draus zu machen.

Aber das macht nichts. Es kann einen etwas treffen, erschüttern sogar, den Boden unter den Füßen wegziehen, und trotzdem ist man dazu fähig, die Vernunft nicht über Bord zu werfen. Trotzdem kann man die Übersicht bewahren, trotz des Chaos der Gefühle. Trotz der abgrundtiefen Enttäuschung. Mord und Totschlag, Rache nach Strich und Faden, Auge um Auge, Zahn um Zahn, Trennung, Scheidung, lebenslange Verdammung – das alles gab und gibt es als Antwort darauf, betrogen worden zu sein. Und all dies liegt uns nahe, fällt uns ein, drängt sich auf. In der Phantasie jedenfalls, als erste Reaktion. Sogar der Selbstmord.

Es ist leicht, zu sagen, der Treuebruch erweist sich bei vielen Paaren als letztlich heilsamer Auslöser einer Krise, aus der die beiden geläutert und gereift herauskommen. Als Symptom und Chance, geeignet, nicht bewußt Gemachtes und nicht Angegangenes ins Bewußtsein und zur Sprache zu bringen, unter den Teppich Gekehrtes anzuschauen und anzugehen.

Aber obwohl man es als gerade nicht Betroffener leicht sagen kann, und der gerade Betroffene es als zynisch empfinden mag, stimmt’s. Nicht bloß theoretisch, psychologisch-analytisch und prinzipiell, sondern praktisch, konkret und lebenswirklich. Not macht erfinderisch, heißt es. Und die seelische Not macht seelisch erfinderisch, die Beziehungsnot macht Mann und Frau erfinderisch in der Art, wie sie sich aufeinander beziehen.

Die Kirschen in Nachbars Garten

Der erste Schritt zu einem verantwortungsvollen, das heißt, einem erwachsenen und realistischen Umgehen damit, kann darin bestehen, sich klar zu machen, daß es – jedenfalls heute – ganz normal ist, daß Liebespartner oder Ehepartner gelegentlich sexuelle Erlebnisse außerhalb ihrer fixen Beziehung haben.

So normal wie Scheidungen und Trennungen oder vielleicht noch normaler, das heißt häufiger vorkommend. Und zunehmend „geschlechtergerecht“ gleichverteilt.

Seien es sogenannte Onenightstands oder sogenannte Affären, die sich aus dem Abenteuerlichen des Geheimen und Verbotenen erotisiert und leidenschaftlich entspinnen. So viel erotischer und leidenschaftlicher als das Offene und Erlaubte mit dem jahrelang vertrauten Partner. Das noch dazu den Charakter der Pflicht an sich hat.

Ein zweiter verantwortungsvoller Gedanke berücksichtigt, daß nur ein Teil der sexuellen Abenteuer außerhalb der festen Beziehung oder der Ehe überhaupt etwas mit der Zufriedenheit in dieser zu tun haben. In vielen Fällen macht die Gelegenheit Diebe, sonst nichts.

Aus den genannten zwei Realitäten läßt sich schon eines gewinnen, nämlich für den, der sich zu den heftigsten Vorwürfen berechtigt fühlt, der ernüchternde Gedanke, es könnte mir genauso passiert sein, daß ich mich auf jemand anderen einlasse; und für den, der sich meistens genauso heftig schuldig fühlt, der ebenfalls die Dimensionen zurechtrückende Gedanke, ich könnte mich auch auf der anderen Seite der Schuldgleichung finden.

Eine Krise ist eine Krise

Eine Krise in der Beziehung, und zu der kommt es, sobald die sexuelle Untreue offen geworden ist, auch dann, wenn in der Beziehung eigentlich alles in Ordnung war, ist eine Krise. Kein Drama, keine Tragödie, keine Tragikomödie, kein Showdown.

Obwohl es den beiden freisteht, solches daraus zu machen. Eine Krise ist in der einfachsten Definition eine gefährliche Situation, von der man nicht sagen kann, wie sie ausgeht. Wie sie ausgeht, hängt davon ab, wie sich die beiden Involvierten oder auch die drei, um es genauer zu sagen, in der Situation verhalten.

Der Ausgangszustand bestimmt den Endzustand nicht. Das Ergebnis ist offen in jeder nur denkbaren Weise.

Erst später, im Nachhinein ist überhaupt eine Beurteilung möglich, wozu die kritische Situation gut war. Oder schlecht war. Oder in dieser und jener Hinsicht sogar das Beste, was den beiden oder den dreien Beteiligten passieren konnte. Oder das Schlimmste, was passieren konnte. Oder einerseits das Schlimmste, andererseits das Beste .

Es kommt also darauf an, gewissermaßen den kühlen Kopf zu bewahren. Im Hintergrund der Hitze der Kämpfe, der inneren und der äußeren, der überwältigenden Aufwallungen und der vernichtenden Verzweiflungen, der Schockzustände und Ausbrüche, der Resignationen und Zusammenbrüche. Oder der sich einschleichenden Leblosigkeit und Erstarrung.

Die beiden Partner müssen durch Tiefen und Untiefen navigieren und der eine muß dem anderen helfen, das größere Ganze der Liebe und der Verbindung zueinander nicht aus den Augen zu verlieren. Jeder der beiden ist in Gefahr, sich zu verirren und zu verrennen, der eine in der Selbstgerechtigkeit des Opfers, der andere in der Selbstbehauptung gegen die Vorwürfe und im schlechten Gewissen.

Die zweite Ehe mit dem selbem Ehepartner

Es gibt in der Paartherapie die etwas kitschige Beschreibung, die eine Ehe ist vorbei, jetzt gilt es, die nächste zu beginnen – mit dem gleichen Ehepartner allerdings! Aber im Prinzip stimmt die Darstellung.

Wenn die beiden nicht die Flinte ins Korn werfen angesichts der Schwierigkeit und Angst davor, ein neues Fundament zu errichten, von dem man noch nicht weiß, wie es sein kann und wie es zustandekommen soll, werden sie die Grundlagen ihrer Beziehung erneuern, sowohl innerlich als auch im Zueinander und Miteinander.

Wenn sie merken, es geht in die falsche Richtung, ins Zerstörerische, in den Dauerstreit oder ins Blockieren und Anstehen, ins Vermeiden und Verleugnen, ins Resignieren, sei es bei sich selbst oder zwischen ihnen, dann ist es das Vernünftigste und Verantwortungsvollste, sich einen Paartherapeuten zu suchen.

Und zwar ohne lang zu zögern oder sich zu zieren. Dafür existiert Paartherapie schließlich, Paaren zur Seite zu stehen beim Durchstehen und Durchkämpfen und Überwinden der ganz normalen Krisen, mit denen wir es als Mann und Frau zu tun haben.

Die sexuelle Untreue ist oft ein Auslöser für eine dieser unvermeidlichen Krisen in der Entwicklung der Partnerschaft und oft genug übersteigt die Intensität der Erschütterung die Kapazitäten der Beteiligten, sie zum Positiven zu wenden. Es wäre ein Wunder, wenn es anders wäre.

iPartner 7

Wir Heutigen und Hiesigen stehen unter dem Einfluß einer öffentlichen Kultur, die eine Konsumentenhaltung zum Leben propagiert, ganz besonders auch in der Liebe und Partnerschaft. Der – eigentlich – geliebte Andere soll unsere Bedürfnisse befriedigen und unsere Ansprüche erfüllen. Wenn nicht oder wenn nicht mehr, dann sollen wir ihn austauschen gegen ein neues Modell, möglichst ein besseres.

Der iPartner 6 ist von gestern und abgenutzt, wir sollen den iPartner 7 wollen, den neuen und unverbrauchten, der außerdem viel mehr kann als das alte Modell.

Liebesbeziehungen und Ehen funktionieren dummerweise nicht nach dem Shoppingmodell. Die Statistiken belegen es, auch wenn wir kurzsichtig auf den nächsten, besseren, idealen Partner setzen mögen, der irgendwo auf uns wartet. Die zweiten Ehen werden um 10 Prozent häufiger geschieden als die ersten, und die dritten noch einmal um 10 Prozent mehr als die zweiten!

Die Modellentwicklung in die eigenen Hände nehmen

Daher ist sogar aus blankem Egoismus die Entscheidung, die kleineren und größeren Krisen mit unserem jetzigen Partner durchzuarbeiten, bis sie überwunden sind, die einzig vernünftige. Die Träume vom idealen Anderen und der endlosen glücklichen Liebe sind gut geeignet dafür, uns ein Ziel zu geben, an dem wir uns ausrichten können.

Der andere erscheint umso idealer, je mehr wie ihn in seinem Sosein achten, und das Miteinander fühlt sich umso besser an, je mehr wir uns ohne Vorbehalt darauf einlassen. Beides, die Achtung und das Sicheinlassen können wir uns nur aus eigenem Willen – trotz der und gegen die irreführenden Einflüsse der kommerziell determinierten Alltagskultur – beibringen und erhalten.

Die unvermeidlichen Krisen des Zusammenseins geben uns die Hinweise und Gelegenheiten, diese Qualitäten der Liebe immer weiter zu entwickeln. Statt uns mit dem Bisherigen zufrieden zu geben, können wir die Herausforderung annehmen, die Liebe zu vertiefen und zu erweitern.