Auseinandergelebt
Sie haben sich auseinandergelebt? Das kann vieles heißen. Und viele bezeichnen ihre Situation so. Andererseits heißt es auch gar nichts, als daß man nichts Greifbares zur Erklärung für ein Nebeneinanderherleben hat.
Inhalt
Sich zueinanderleben
Eine einfache, aber vielleicht doch nicht zu einfache Logik gleich jetzt:
Wenn man sich auseinanderleben kann, kann man sich auch wieder zueinanderleben.
Ich weiß schon, es klingt, als wollte ich Sie frotzeln. Ha, ha, ha – was für eine Weisheit!
Melodramatischer wäre:
Eines Tages war der Punkt ohne Wiederkehr überschritten. Plötzlich wußten sie, das war’s. Sie waren am Ende miteinander. Sie haßten einander nicht, das nicht. Sie konnten einander auch nach wie vor gut leiden. Sie waren einander nicht einmal gleichgültig geworden. Nein, sie mochten einander, man konnte sogar sagen, sie waren die besten Freunde. Aber Liebe?
Es war auch nichts zerbrochen zwischen ihnen. Es gab keine unüberwindbaren Differenzen, keine ermüdenden Schlachten, keinen Krieg, nicht einmal einen kalten.
Es gab nicht einmal großartige Probleme. Nur das eine, es war nicht das, was es früher war, nicht das, wofür man heiratet oder sowas Ähnliches arrangiert, was Entscheidendes, was Unbedingtes. Das „Wir zwei gegen den Rest der Welt“. Das „Da wir zwei und dort die anderen“.
Wahrscheinlich konnte man so weiterleben, alt werden einen Tag nach dem anderen, alle Feste begehen, alle Lästigkeiten erledigen, Annehmlichkeiten genießen, Siege erringen und Niederlagen erleiden, nicht allein sein müssen.
Aber die Aufregung, die Intensität, die Begeisterung, Himmel und Hölle? Das Zittern und Beben? Das Bangen?
Die zweite Eroberung
Es bleibt dabei. Wer es geschafft hat, zuerst zusammenzukommen und dann auseinanderzukommen, kennt beide Bewegungen. Beim zweiten Mal weiß er schon, worauf’s ankommt. In beide Richtungen.
Aber diesmal sind die Hormone und Pheromone und ihr Drang nicht so wild und kompromißlos dahinter, daß man gar nicht auf die Idee kommen würde, die Mühe zahlt sich vielleicht gar nicht aus.
Die Befürchtungen, die Ängste und Krämpfe hat man ursprünglich hingenommen, weil man den anderen im Auge gehabt hat, den anderen als das Ziel und den Zweck, nicht die eigene Gemütsruhe oder den eigenen Seelenfrieden.
Wenn man will, kann man die Unsicherheiten, die Peinlichkeiten, die Erregung, die sich von Angst nicht wirklich unterscheidet, wieder haben. Ja, sicher. Man braucht sich die ganze Sache nur entsprechend zurechtlegen.
Es geht um das gleiche Projekt, den anderen zu gewinnen, ihn zu umwerben, ihn zu verführen, ihn zu erobern, ihn zu kriegen – mit der gleichen Gefahr, abgewiesen zu werden, zurückgewiesen, beschämt, enttäuscht, getroffen, verletzt, erniedrigt, am Boden zerstört zurückzubleiben.
Es geht um das gleiche Risiko zu scheitern, so radikal zu scheitern, daß man radikal an sich zweifelt, an seinem Wert, am Sinn des Lebens, an der eigenen Existenzberechtigung sogar.
Man muß es aber nicht in diese Atmosphäre des Alles-oder-nichts bringen, die Abenteuer sind trotzdem da, nur von anderer Qualität.
Der Mut bleibt einem sowieso nicht erspart. Die Hartnäckigkeit auch nicht.
Was man aber beim ersten Mal des Zusammenkommens nicht selber aufbringen brauchte, war die Verantwortung für das Erreichen des Ziels. Man brauchte nur mitgehen mit dem von innen Angetriebenwerden und dem von außen Angezogenwerden.
Es war kein Entschluß und keine Konsequenz des Willens erforderlich. Es hat genügt, die Empfindungen und Phantasien und Hoffnungen nicht zu unterdrücken.
Beim zweiten Mal (oder dritten oder vierten – durchaus, Nähe und Distanz haben ihre Rhythmen, aber man muß ja nicht immer wieder so weit auseinanderdriften, daß man meint, ohne Therapeuten kann man von einem Pol nicht mehr erfolgreich zum anderen steuern) hat man es mit einer Gewohnheit als Hindernis zu tun.
Gewohnheiten sind mächtig
Und Gewohnheiten haben ihre eigene Trägheit, sie gehen weiter und weiter, auch wenn man sie als dumm oder schädlich oder blind beurteilt.
Mit was für einer Gewohnheit in verschiedensten Variationen man es beim zweiten Zusammenkommen zu tun hat?
Mit der Gewohnheit des Vermeidens der Konflikte, nichts Überraschendes. Genauer gesagt, des Vermeidens des Austragens der Konflikte, noch genauer gesagt, des Austragens bis zum Punkt der Lösung. Bis man zufrieden ist mit dem, was rauskommt! Damit es unzweideutig gesagt ist, Streiten oder Kämpfen oder Verhandeln als solches genügt nicht!
Oder eben, bis man einen Kompromiß ausgehandelt hat, mit dem man zurechtkommen kann.
Oder bis man einsieht, der Punkt X ist nicht zu lösen im Sinn von aus der Welt zu schaffen, sondern etwas, womit man sich abfinden muß. In dem Fall ist die Lösung die Weisheit, sich nicht festzubeißen.
Das Vermeiden von Streit, sei es um des lieben Friedens willen oder weil es schmerzhaft ist oder einem Angst macht oder man sowieso schon sonst genug Streß hat, wäre kein Problem, wenn man auch innerlich abließe vom Streitpunkt. Wenn man die Gelegenheit nützte zum Training in Gelassenheit.
Das geschieht aber in den seltensten Fällen. Stattdessen grollt man innerlich, während man sich äußerlich versöhnlich gibt oder mitspielt oder nachgibt.
Über die Zeit staut sich das zu einer hintergründigen Unzufriedenheit mit dem anderen, zu einem subkutanen Ressentiment, einer unterschwelligen Resignation.
Und daraus vermeidet man die Nähe und das Miteinander, daraus nimmt man die Gelegenheiten zum unbeschwerten und unbefangenen Zueinander nicht mehr wahr.
Daraus läßt man sich auf das spielerische Umgehen miteinander nicht mehr ein, obwohl man es früher doch so geschätzt hat. Man spielt nicht mehr miteinander. Alles ist nur noch ernst, nüchtern, erwachsen, sachlich, vernünftig.
Man nimmt hin, daß der Alltag von sich aus wenig Zeit und Raum dafür läßt. Leider! Man hat sowieso schon so viel um die Ohren, daß man nicht mehr weiß, wo einem der Kopf steht!
Aber am Anfang hat man dem sogenannten Alltag ein Schnippchen nach dem anderen geschlagen, Pflichten, Termine, Stundenpläne hin oder her. Kein Aufwand war einem zuviel, um Zeit und Gelegenheit für den anderen herauszuschinden.
Also, wo ist das Rezept? – Bitte!
Der Geist der Entfremdung ist ein intimer Bekannter
Spielen Sie nicht die von einem unglücklichen oder banalen Schicksal einander Entfremdeten, sondern drehen Sie das Ganze herum und rekonstruieren sie ein paar der typischen, vielleicht völlig unspektakulären Momente, wo Sie lieber in die innere Emigration und auf Distanz gegangen sind als die Zores der Konfrontation auf sich zu nehmen!
Und das bezieht sich auch auf die Konfrontation mit sich selbst, mit der eigenen Bequemlichkeit und mit der eigenen Feigheit. Man kommt drauf, es geht sogar zuallererst und unvermeidlich darum, wie man es sich selber leichter und einfacher gemacht hat.
Aber es handelt sich nicht um bloße Archäologie, sondern bei ein bißchen gezielter Selbstbeobachtung merkt man, wie man es Tag für Tag mehr oder weniger subtil anstellt, den Abstand immer wieder herzustellen und aufrechtzuerhalten.
Das ist schon einmal ein guter Ausgangspunkt.
Was man verlegt hat, läßt sich wiederfinden
Erklären Sie sich nicht der Liebe verlustig geworden, sondern wechseln Sie die Perspektive und gehen Sie davon aus, daß Sie so angelegentlich mit anderen Dingen befaßt waren, daß Sie sich nicht mehr erinnern können, wohin Sie sie verlegt haben!
Entweder es fällt einem wieder ein oder man muß suchen, im Fall des Falles das ganze Haus auf den Kopf stellen, samt Keller, Dachboden, Garage und Gartenhäuschen. Wichtige Dinge wirft man nicht weg und man verschlampt sie auch nicht einfach, sondern man hebt sie an einem Platz auf, wo sie sicher sind.
Das ist schon der zweite gute Ausgangspunkt.
Training macht fit
Wenn Sie dann noch ein bißchen sportlichen Ehrgeiz und Ausdauer mobilisieren, können sie von den beiden guten Ausgangspunkten ausgehend systematisch trainieren.
Einerseits in der Disziplin: Konflikte angehen und aushandeln bis zur Lösung, andererseits in der des Renovierens und Restaurierens der verlegten und wieder gefundenen Liebe; vielleicht genügt auch ein Aufpolieren, wenn sie gut geschützt gelagert war.
Wie im Sport gilt auch hier, ohne Schweiß kein Preis!
Wer will schon fit sein?
Und wie bei den ewigen Empfehlungen zur Gesundheitsfürsorge gilt auch hier, daß viele Leute die Schultern zucken, sich lieber gehenlassen und ehe sie sich’s versehen, übergewichtig, zuckerkrank und mit zu hohem Blutdruck und allen möglichen Folgekrankheiten jammernde und tapfere Patienten werden. Wie dazu berufen, als ehrenamtliche Teilzeitbeschäftigung in der Pension die Wartezimmer zu füllen und die Spitalsbetten zu belegen.
Wozu sich also die nächste Runde desselben unerwarteten und unvorhergesehenen Beziehungselends mit neuer Partnerrollenbesetzung ersparen? (Denn wie die Statistik zeigt, es kommt nichts Besseres nach, und beim nächsten geht’s unterm Strich genauso vor sich, nur schneller.) Immerhin ist es doch spannender, mit jemand ganz Neuem ganz von vorn zu beginnen! Und Statistiken sagen nichts aus über den Einzelfall!
Dem ist nichts zu entgegenhalten als der Hinweis darauf, daß hier niemand überzeugt werden soll, der sich nicht schon selbst so weit von der inneren Trägheit emanzipiert hat, daß er eigentlich nur noch einen kleinen Schubs braucht.
Im Falle so eines Falles sollte die Begleitung eines Paartherapeuten als Coach dabei nicht schaden!
Auch dann nicht, wenn Sie allein kommen, weil der andere nichts von Therapie oder Coaching hält.